San Francisco, Juni 2012
Im Gegensatz zu Thailand sind dies nun sehr viel urbanere Ferien und ich bin überrascht, wie gut mir zwei Wochen Stadt gefallen. Vorweg: San Francisco ist herrlich, wunderbar, einzigartig und meine neue Lieblingsstadt. Durch die raue Küste, die Parkanlagen, viel Grün, Sausalito etc. ist man blitzschnell in der Natur und es kommt einem gar nicht so städtisch vor. Ich lebe hier bei meiner alten Freundin Susa und ihrer Frau Mary auf einem der 50 Hügel in Noe Valley unweit vom Schwulenviertel mit der schönen Castro Street und den wehenden Regenbogenfahnen, in dem Harvey Milk früher kämpfte. Dort gibt es das Castro-Kino in dem vor Beginn des Films immer noch Orgel gespielt wird. In Mission, dem mexikanisch-latino geprägten Viertel, das mir fast am besten gefällt, ist man in 10 Minuten. Es ist so schön bei Freunden zuhause zu sein und ich geniesse es in vollen Zügen. Die Strasse vorm Haus ist steil wie die meisten hier und man hat von der Küche einen herrlichen Blick auf Downtown und die Baybridge, im wunderbaren Garten sitzt man unterm Olivenbaum. Beim morgendlichen Spaziergang mit Susas und Marys verrücktem weissen Zwergpudel Ella kommt man bei dem ganzen auf und ab der Strassen ganz schön ins Schnaufen, fühlt sich mit grosser Sonnenbrille und Pudel aber wie bei Breakfast at Tiffanys. Mit dem Auto sind die Strassen allerdings ein Riesenspass – wie Achterbahn fahren und wenn man schnell genug fährt kann man ein wenig hüpfen. Mit Susa ist’s wie vor 17 Jahren als wir noch zusammen studiert haben und in ihrem altersschwachen Golf laut singend rumfuhren. Nun singen wir in San Francisco im BMW-Cabrio mit Pudel am Schoss und wenn uns das damals jemand erzählt hätte wären wir vor lachen am Boden gelegen.
Die Lombard Street (mit den kleinen Serpentinen) macht besonders Spass, ich bin sicher Susa fährt nicht nur wenn Besuch da ist dort runter. Da ich bei San Franciscians wohne lerne ich die Stadt natürlich anders und privilegierter kennen als sonst. Im Nebenhaus ist heute Garagenverkauf und so ist auch der Alltag greifbar.
Nahezu alles in San Francisco ist Bio und recyclebar, die Busse hybrid betrieben, die Biosupermärkte suchen ihres gleichen in Europa, selbst die meisten Lokale sind ‚organic‘. Der Müll wird sauber getrennt und sobald die Tonnen vor der Tür sind kommen weniger Beguenstigte um die Flaschen rauszuholen – pro Flasche bekommen sie 5 Cent. Die Kehrseite und wie luxuriös es uns hier geht sieht man durch eben jene Flaschensammler, die vielen Drogensüchtigen (hauptsächlich Meth) wie Obdachlosen (mehr als in jeder anderen US-Stadt). Durch Mary und ihre Strafrecht-Kanzlei kriegt man viel mit. Ebenso bekomme ich durch die zwei und ihre Freunde viel politisches mit. Dadurch das die beiden 2008 als es hier kurz erlaubt war heirateten und jeder 10. in SFO sich zu seiner Homosexualität bekennt ist die gleichgeschlechtliche Ehe ein Riesen Thema und gerade vorm Supreme Court. Letzte Woche waren hier Wahlen für die Senatoren und so gross die Supermärkte sind, gewählt wurde in der kleinen Garage eines Nachbarn.
Was ich in Deutschland oft als oberflächlich empfand stellt sich hier als echte Freundlichkeit heraus, mit den Leuten kommt man schnell ins Gespräch, schnell ist man in einem Geschäft eine halbe Stunde am Plaudern und wie in Australien rufen einem die Passanten Guten Morgen zu. Das mag nicht überall so sein, aber hier behandeln sich die Bewohner offenbar freundlich und das macht das Leben doch leichter. Mit am nettesten finde ich all die Bäume in San Francisco. Nahezu jede Strasse ist Allee, ist grün und die Bäume werden von den Bewohnern rundherum bepflanzt und gehegt. Die viktorianischen Holzhäuser sind bezaubernd schön, nicht nur die bekannten „painted Ladies“ am Alamo Square, die San Franciscians machen sich’s gerne nett, nutzen ihre Strände, grillen und werfen Frisbees im schönen Golden Gate Park oder spielen kostenfrei Tennis im Dolores Park. Nur Wind und Wetter erinnern an die Nordsee. Gestern blies uns der Wind mit gefühlter Windstärke 10 am Ocean Beach und Cliff House um die Ohren und den Sand in die Ohren. Mark Twain sagte einst „Der kälteste Winter, den ich jemals erlebt habe, war der Sommer in San Francisco“. Da habe ich Glück, aber es ist täglich überraschend, wie schnell es kalt wird und wie rasch Twin Peaks im dicken Nebel hängt. Kaum ist man über der Baybridge steigt die Temperatur. Was habe ich bisher so erlebt? Verdammt viel, es sind bereits soviel Eindrücke, dass ich richtig überlegen muss. Ich bin gleich am ersten Tag mit dem Cabrio über die Golden Gate Bridge gefahren und habe festgestellt, wie zauberhaft die andere Seite inklusive Leuchtturm und Blick bis zum Horizont ist. Egal von welcher Seite man diese Brücke sieht: der Blick darauf wird niemals langweilig. Ich habe die vielen Strände gesehen, bin die Küste gen Süden gefahren, habe die Viertel von Japantown bis Italien erkundet (immerhin 1000 verschiedene Volksgruppen in dieser Stadt), Downtown erlaufen, Cocktails über den Dächern der Stadt getrunken, in Chinatown im Teeladen diverse Tees zeremoniell verkostet (das Pfund dort kostet teilweise 500$), den Chinesen beim Kartenspielen zugesehen, zahlreiche Galerien und Museen besucht (wobei MoMa und De Young besonders toll sind). Am City College an dem Susa unterrichtet ist eins der grossen Wandgemälde von Diego Rivera in SFO. Von Rembrandt bis Lucian Freud ist hier alles zu sehen. Ich habe in Napa Valley bei 35 Grad diverse Weingüter besucht und Weine probiert und dementsprechend weinselig beschlossen dort zu leben. Wir waren an den Küsten der Stadt wandern, haben stundenlang den Möwen, Pelikanen und Wellen zugesehen. Sogar ganz dunkle Delphine gibt es hier. Ach, und Seelöwen am Pier 39 mit hunderten Touristen.
Über ein Wochenende waren wir in Davis und dann in den Bergen am Lake Tahoe (4 Stunden entfernt) und hatten bei Boccia, Kayak fahren und Traumwetter Spass für ein ganzes Jahr. Susa und Mary, die Glamourgirls, haben ein Motorboot gemietet und ich muss gestehen, dass dieser Luxus damit über den schönen See mit Ausblick auf schneebedeckte Berge und Wildgänse zu fahren grandios war. Und wir mussten natürlich alle mal mit den Füssen steuern. Die zwei sind fantastische Gastgeber, verwöhnen mich sehr, vielmehr: they spoil me rotten.
Es gibt soviel schöne Läden, Cafés und Restaurants, diese Fülle hätte ich nicht erwartet. Das Absinthe ist fast wie das Orphee. Mein Lieblingsladen ist in Valencia, ein Piratenladen in dem hinten Leseunterricht für Kinder gegeben wird und man Dinge wie Black Beards beard dye kaufen kann, zahlreiche Sprüche stehen wie: No earrings shall be larger than the Captains. Anything goes in dieser Stadt.
Das ein oder andere Mal komme ich mir doch sehr amerikanisch, wie im Film bzw. Disneyland vor. Beim Burger essen zum Beispiel (hatte hier mit 4 Burgern mehr als in den letzten 25 Jahren. Erstaunlich gut diese Bio Burger). Vor Riesenpackungen im Supermarkt oder überdimensionalen Kühlschränken. Man hat im Vorfeld soviel Bilder von San Francisco gesehen, das es manchmal unwirklich erscheint da zu sein. Allein der Flug mit Virgin Atlantis in lila-rot gehalten und serviertem Cocktail schien bereits recht surreal. Tatsächlich alles wird mit Kreditkarte bezahlt, selbst 2,50$ im Parkhaus oder das Taxi, selbst am schönen Farmers Market am Pier 1 kann man mit Karte zahlen. Es gibt nichts was es nicht gibt.
Ich hab soviel gesehen, aber es gibt noch jede Menge zu sehen und so werde ich bald wieder herkommen. Mit oder ohne Blumen im Haar.
Seid mit dem Blick aus dem Küchenfenster aufs glitzernde Downtown lieb gegruesst.
Annette