Vietnam

Vietnam 2013

Nach 1700 km, einigen Inlandsflügen, Auto- und Nachtzugfahrten (unter anderem im Orientexpress) sind wir von der Grenze zu China im Norden zu unserer letzten Reise-Etappe, der Insel Phu Quoc im Süd-Westen gelangt. Unser Ausgangspunkt war für zwei Nächte Ho Chi Minh City, von wo aus wir die nächsten Tage organisierten. Nachdem uns der erste Taxifahrer um einige Hunderttausende Dongs erleichtert hatte gefiel uns das alte Sai Gon gut, es ist der Wirtschaftsmotor Vietnams, mit alten Kolonialbauten und regem Straßenverkehr. Bei 6 Millionen Einwohnern gibt es 5 Millionen Mopeds, es herrscht eine wahre Hupkakophonie und ich sah ein paar Europäer, die sich nach dem überqueren der Strasse bekreuzigten. Auch für uns war das gewöhnungsbedürftig, nur da kannten wir Ha Noi noch nicht. Am Besten einfach Augen zu und durch und niemals stehen bleiben. Ein Angsthase darf man auf den Strassen Vietnams nicht sein. Es ist schon erstaunlich wie bis zu 5 Personen auf einem Moped Platz finden und dabei sowohl Fahrer als auch Hintermann noch eine SMS schreiben. Und natürlich immer laut hupen. Das Moped ist hier Statussymbol und wird liebevoll mit ins Haus oder Wohnzimmer genommen. Die erste Pho Bo, quasi das Nationalgericht, mundete köstlich, erst später erfuhren wir, wie man es ausspricht. Nachdem die Betonung bei asiatischen Sprachen entscheidend ist kann man statt Nudelsuppe mit Rind auch Strasse mit Vater bestellen.IMG_0824

Unser nächstes Ziel war Ha Noi. Die 1000 Jahre alte Stadt mit dem schönen See, an dem die Vietnamesen im Morgengrauen Tai Chi praktizieren hat eine wunderbare Altstadt mit einem endlos erscheinendem Gassennetz. Der See trägt den klangvollen Namen „See des zurückgegeben Schwertes“. Wie bei vielen Namensgebungen gibt es dazu eine Geschichte, in der eine riesige Schildkröte vorkommt, die angeblich immer noch dort lebt. Die Schildkröte spielt nebst Drachen, Phoenix und Einhorn eine grosse Rolle in den Legenden und Kunstwerken Vietnams. Ich bin seit Kurzem z.B. Besitzer eines kleinen Gongs mit Drachen darauf. Soll Glück bringen, aber dazu später. Auf der Insel im See spielten Männer Brettspiele die wir nicht kannten, ein Bild, das wir noch oft sehen sollten. In dem Gassengewirr der Altstadt war ursprünglich jede Strasse einem Handwerk vorbehalten, heute sind noch ein paar authentisch, ansonsten gibt es Gassen nur mit Gürteln, Schuhen und allerlei Touristengeschäfte mit Dingen die entbehrlich scheinen. Auf den Gehwegen sind wie überall im Land zahllose, rappelvolle Garküchen oder Bia Hois (Bierlokale) mit ihren kleinen roten oder blauen Minihockern. Nach stundenlangem Spaziergang gerieten wir in die Rushhour, die alles zuvor gesehene bei weitem übertraf und sich in den schmalen Strassen als gefährlicher Hindernislauf erwies und unsere volle Konzentration forderte nicht umgefahren zu werden, uns nicht an Auspuffen zu verbrennen und uns irgendwie lebendig den Weg zu bahnen. Die deutschen Autoaufkleber ‚ich bremse auch für Tiere‘ dürften den Einwohnern Ha Nois rührend erscheinen. Schließlich flüchteten wir mit dünnem Nervenkostüm auf ein kühlendes Bier in ein Lokal und beschlossen Ha Noi so schnell nicht mehr zu besuchen. Das Ho Chi Minh Mausoleum sahen wir nur aus der Ferne. Dort wurde der Guerillakämpfer gegen seinen Willen aufgebahrt, ansich wollte er, dass seine Asche im Norden und Süden verstreut wird. Er sollte uns noch oft begegnen, denn ‚Onkel Ho‘, der einen von jedem Geldschein anschaut und  dessen Geschichte wir später noch mal nachlasen, ist allgegenwärtig und sehr verehrt. Im Süden allerdings weniger als im Norden wie wir von unserem Guide Thong im Mekongdelta erfuhren.

Tags darauf brachen wir zur Halong Bucht auf, wo wir zwei Tage auf einem Boot verbrachten. Die Busfahrt dorthin führte uns durch die ersten Reisfelder. Zahlreiche sollten folgen. Das satte grün dieser Felder und die Bauern mit ihren konischen Reishüten hat sich mir als Vietnam-Bild tief ins Gedächtnis geprägt. Genauso wie die vielen Frauen, die ihre schwere Ware in den traditionellen Körben, wie eine Waage auf den Schultern tragen.

Mit zehn Mitreisenden aus aller Welt stachen wir in See. Die Bucht des herabfliegenden Drachen, der dieses Wunder der Natur der Legende nach verursachte, ist einzigartig schön, gross wie Berlin und wir genossen Ruhe und Ausblick auf schwimmende Dörfer und die endlosen, wundersamen Felsformationen nach den quirligen Städten. Mit dem Nachtzug ging es nach unserer Rückkehr nach Lao Cai an die chinesische Grenze. Von dort brachen wir zu unserer Tour nach Sa Pa auf. Umgeben von Bergen, Terrassenfeldern und Bergdörfern wanderten wir mit unserem Guide Tuan an zwei Tagen ein paar Stunden bei 32 Grad und er erzählte uns von den Einheimischen, den schwarzen H’Mong oder den roten Dao mit ihrem verschiedenfarbigem Kopfschmuck und teils von Betelnüssen schwarz gefärbten Zähnen und zeigte uns Märkte, Wasserfälle und Dörfer. Die vielen spielenden, winkenden und lachenden Kinder umrahmt von Terrassenfeldern, Büffeln, Schweinen, Hühnern und Hunden erweckten den Anschein eines vietnamesischen Bullerbüs.

Natürlich ob der Armut völliger Unsinn, aber selten sah ich eine friedlichere und schönere Gegend. Die verschiedenen Volksstämme mit ihren vom Indigo blaugefärbten Händen und ihren farbenreichen Trachten, ihren teils rasierten Augenbrauen und roten Kopftüchern hinterliessen einen tiefen Eindruck. Gerne wäre ich dort noch ein bißchen geblieben doch der Nachtzug nach Ha Noi war schon gebucht. Kurz vor unserer Abreise fanden sowohl Elke als auch ich am See von Sa Pa zwei vierblättrige Kleeblätter, was hier ebenso selten passiert wie bei uns und Glück für die Weiterreise verhiess. Tuan versuchte vergeblich auch eins zu finden um ebenfalls Glück zu haben. Glück spielt eine ganz grosse Rolle, den Ahnen, die sehr verehrt werden legt man Speisen, falsche Geldscheine, sogar Mini-Fernseher auf die häuslichen Altäre, wer als erster am Neujahrsfest zu Besuch kommt kann Glück oder Unglück bringen. ‚For the lucky‘ hört man häufig. Wir vertrauten auf unsere Kleeblätter die wir sorgsam pressten.

Der Weg führte uns nach Da Nang von wo aus wir in die Unesco Weltwebestadt Hoi An fuhren. Am Flughafen trafen wir Bekannte von Elke aus Hamburg, mit denen wir einen sehr netten Abend verbrachten. Bei unserer Ankunft in Hoi An erwartete uns die Legendary Night, der Abend vor dem buddhistischen Vollmondfest. An diesem Abend leuchten die Laternen in den kleinen, charmanten Gassen und am Fluss werden Papierlaternen zu Wasser gelassen – fürs Glück natürlich. Jeden Abend wurde in unserer Strasse unzählige Räucherstäbchen in den Boden vor den Bäumen gesteckt. Am Vollmondfest wurde zusätzlich ein Tisch mit Speisen und Wasser als Altar aufgebaut. In Hoi An wollten wir eigentlich nur zwei Nächte bleiben um weiter gen Süden zu fahren, doch uns gefiel es dort so gut, das wir unsere Reiseroute kurzerhand änderten um ein paar Tage länger zu bleiben.
Das Städtchen mit seinen kleinen Gassen, den gelben Häusern, Schneidereien, Cafés, den Fischerbooten, zwei Stränden und den umliegenden Reisfeldern ist einfach zum Verlieben. In den zahlreichen Cafés kann man dem Müßiggang frönen und sich ein wenig wie in einem Margueritte Duras Roman oder Catherine Deneuve in dem Film „Indochina“ fühlen. Die schönen alten Häuser kann man teilweise besichtigen und die Bewohner leben dort stolz in der 7. oder 8. Generation und zeigen, wie hoch das Wasser während der Regenzeit im Haus steht.
In der Nähe von Hoi An liegt My Son, eine alte Tempelanlage der früher mächtigen Cham zu Ehren der Ahnen. Dort versteckten sich während des Krieges die Freiheitskämpfer, weswegen das Gebiet sehr stark bombardiert wurde und nur noch wenige Bauwerke erhalten sind. Es empfiehlt sich am Weg zu bleiben, da noch viele Landminen abseits der Wege sind. Ebenso ist die Belastung des hochgiftigen Entlaubungsmittels Agent Orange spürbar und die Spätfolgen bei den Menschen leider vielerorts sichtbar. Aber was diesem Land angetan wurde ist ein anderes Thema. Die Natur zumindest hat sich glücklicherweise grösstenteils erholt.


Was die Natur angeht waren die Radtouren durch das Grün der Reisfelder mit am Schönsten. Um Hoi An konnte man wunderbar radfahren. Mir schenkte auf einer dieser Touren ein alter Vietnamese zwei Lotusblüten, indem er spontan ins Wasser stieg und IMG_0978zwei abschnitt. Diese leuchtend rosarote Blüte ist mit ein Wahrzeichen Vietnams und begegnet einem ebenso häufig wie Ho Chi Minh oder Buddha. Elke wurde gar von einem Bauern aufgefordert eine Runde auf seinem Büffel durchs Reisfeld zu drehen. Der Abschied von diesem Ort fiel schwer, aber der Weg führte uns wieder nach Sai Gon und tags darauf weiter ins Mekongdelta nach Can Tho.

Dort zeigte uns Thong, der mit 18 in den Krieg musste, das Wasserlabyrinth des Flusses der neun Drachen und brachte uns die Flora dieser Gegend näher. Zwei Tage fuhren wir den breiten, braunen Fluss entlang, teils durch die vielen kleinen, einsamen Seitenarme, probierten Früchte bei Bauern, die uns auch zu Reiswein einluden, betrachteten das geschäftige Treiben an schwimmenden Märkten und waren fasziniert von diesem Fluss. Die Menschen im Mekongdelta (20 Mio.) sind grösstenteils sehr arm und die vielen kleinen, zusammen gezimmerten Hütten am Ufer mit den freundlichen Menschen, die dort ihre Wäsche oder sich selbst wuschen relativierten ferne Alltagsprobleme – unsere westlich geprägte „culture of complaints“ mutet in diesem Land fremd an.

Nun sind wir kurz vor der kambodschanischen Grenze im Nam (=Süden) auf dem Eiland Phu Quoc, was übersetzt „99 Berge“ bedeutet und wo sich der Tourismus noch halbwegs im Anfangsstadium befindet, was sich die nächsten Jahre vermutlich ändern wird. Hier wurde die bunte Religion Cao Dai gegründet. Dem „Erfinder“ öffnete sich auf dieser Insel das dritte Auge. Wir hingegen blicken von unserem Bungalow aufs 20m entfernte Meer, in das wir frühmorgens springen, lesen den halben Tag, lassen uns den vom Rucksack geplagten Rücken massieren, bis die Knochen krachen und ich erkunde die Unterwasserwelt Vietnams und gemeinsam erkunden wir die Insel.

Elke ist eine wunderbare Reisegenossin und wir können gar nicht fassen, was wir alles sehen und erleben durften. Meist wurden wir gefragt, ob wir Schwestern seien und wenn wir antworteten wir seien nur Freundinnen, kam der typisch asiatische Satz „Same same but different“. Wir haben, vielmehr mussten, Karaoke singen (die Vietnamesen nehmen das sehr ernst, Zitat „Take it serious“ als Elke und ich „I will survive“ schmetterten), haben Tropfsteinhöhlen bewundert, einen Kochkurs gemacht und spannende Menschen getroffen. Ein 68jähriger Franzose  mit dem ich mich in My Son unterhielt war seit Monaten mit seinem Motorrad durch Asien gefahren und noch bis Oktober unterwegs. Wir haben die hübschen Vietnamesinnen mit ihren Ao Dai, einem langen Kleid mit zwei hohen Schlitzen und einer weißen Hose darunter, bewundert und können nahezu perfekte Frühlingsrollen drehen.

Nun sitzen wir an einem der wenigen Strände des Landes von dem man Sonnenuntergänge betrachten kann, in doppelter Hinsicht besonnen, auf diesem bezaubernden Fleckchen Erde und lassen die vielen Eindrücke nachwirken.

Der ARD Korrespondent für Südostasien sagte einmal, bei seiner ersten Reise auf diesen Kontinent hätte ihn der Asienvirus erwischt. Ich kann ihn gut verstehen, ich war vor 10 Jahren das erste Mal in Südostasien, seither ist der Reisevirus virulent und ich freue mich jetzt schon auf ein Wiedersehen. Vielleicht habe ich bis dahin endlich gelernt richtig mit Stäbchen zu essen, denn ein vietnamesisches Sprichwort besagt: “ Wer mit Schüssel und Stäbchen umzugehen weiß, kann auch mit Worten umgehen“.

Liebe Grüsse aus Vietnam
Annette